Schmerz- und Schlafmedizin

Schmerzsyndrome

Anhaltender idiopathischer Gesichtsschmerz

Anhaltender idiopathischer Gesichtsschmerz (früher atypischer Gesichtsschmerz): Chronische, meist einseitige Gesichtsschmerzen unbekannter Ursache, die über mehrere Monate täglich auftreten und nicht die Kriterien einer Neuralgie erfüllen. Betroffen sind in 90 % der Fälle Frauen zwischen 30 und 60 Jahren.

Leitbeschwerden

  • Wechselnd intensive Schmerzen an Auge, Nase, Wange, Schläfe und Kiefer, manchmal verstärkt oder ausgelöst durch Kälte
  • Meist einseitig, selten beidseitig oder seitenwechselnd
  • Schmerzcharakter bohrend und tief, seltener brennend, stechend oder pulsierend.

Die Erkrankung

Ähnlich wie Spannungskopfschmerzen, als deren Variante sie oft betrachtet werden, haben idiopathische Gesichtsschmerzen keine erkennbare körperliche Ursache. Meistens treten sie spontan auf, gelegentlich nach einer Verletzung oder einer Operation an Gesicht, Kiefer oder Zähnen. Da die Beschwerden uncharakteristisch und schwer zu deuten sind, machen viele Betroffene eine wahre Ärzteodyssee durch. Typischerweise ergeben verschiedenste Untersuchungen bei Augen-, Zahn- und HNO-Ärzten normale Befunde, bis schließlich (meist) ein Neurologe die richtige Diagnose stellt. Manche Betroffenen haben dann schon wiederholte Eingriffe an Zähnen, Kiefer oder Kieferhöhlen hinter sich, die jedoch die Beschwerden keineswegs lindern, sondern eher verstärken.

Das macht der Arzt

Auch wenn die Erkrankung richtig erkannt ist, bleibt die Behandlung schwierig. Konventionelle Schmerzmittel bringen meist wenig Erfolg, bergen jedoch bei längerem, regelmäßigen Gebrauch die Gefahr eines Analgetikakopfschmerzes. In vielen Fällen hilft die langfristige, regelmäßige Einnahme von Antidepressiva wie etwa Amitriptylin (z. B. Saroten®). Reicht die Wirkung nicht aus, lohnt sich ein Versuch mit Antiepileptika wie Carbamazepin (z. B. Sirtal®) oder Gabapentin (z. B. Neurontin®). Bei der Suche nach einem wirksamen Medikament ist zu bedenken, dass der Erfolg erst nach 5–6 Wochen abzuschätzen ist. Ähnliches gilt für die einzige psychologische Behandlungsmethode, die als Erfolg versprechend gilt: die Verhaltenstherapie.

Komplementärmedizin

Verschiedenste Therapieverfahren wie Akupunktur, Neuraltherapie, Wasseranwendungen oder Hypnose haben sich in Studien als wenig wirksam erwiesen. Hingegen scheint eine gezielte Gesichtsmassage erfolgreich zu sein.

Autor / Rechte
10.10.2019
Dr. med. Nicole Menche und Dr. med. Arne Schäffler in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). Überarbeitung und Aktualsierung von Dr. med. Sonja Kempinski

Clusterkopfschmerz

Clusterkopfschmerz (Erythroprosopalgie, früher Bing-Horton-Syndrom): Mit einer Häufigkeit von etwa 0,1 % eher seltene Kopfschmerzerkrankung, charakterisiert durch stechende, fast unerträgliche, halbseitige Kopfschmerzattacken, die mehrmals täglich auftreten und mit vegetativen Begleiterscheinungen verbunden sind. Die Krankheit beginnt überwiegend zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr und zeigt meist einen episodischen Verlauf. Männer sind wesentlich häufiger betroffen als Frauen.

Leitbeschwerden

  • Mehrmals täglich (fast) unerträgliche Schmerzattacken streng halbseitig hinter Auge und Schläfe, kein Seitenwechsel; häufig nachts oder mittags auftretend
  • Vegetative Begleiterscheinungen auf der schmerzenden Seite, z. B. gerötete Augenbindehaut, Lidschwellung, Tränenfluss, verstopfte oder „laufende“ Nase, Gesichtsschwitzen
  • Attackendauer ¼–3 Stunden, dazwischen oft „Restschmerz“
  • Dauer einer Clusterepisode Wochen bis Monate, dazwischen schmerzfreie Phasen
  • Typischer Beginn der Clusterepisoden im Frühjahr/Herbst.

Die Erkrankung

Die Ursachen des Clusterkopfschmerzes sind weitgehend unbekannt. Familiär gehäuftes Auftreten legt das Vorhandensein genetischer Faktoren nahe. Ein Teil der Patienten kann sog. Triggerfaktoren für die Attacken angeben, diese lösen jedoch nur die einzelnen Attacken aus und sind nicht die Ursache der Erkrankung.

Heutige Theorien favorisieren eine Beteiligung des Hypothalamus an der Krankheitsentstehung (der Hypothalamus ist für unsere biologischen Rhythmen mitverantwortlich). Hierfür sprechen die tages- bzw. jahreszeitliche Häufung sowie der Nachweis einer veränderten Aktivität im Gehirn durch PET-Untersuchungen. Eine rein entzündliche Ursache wird heute abgelehnt, die vorhandene Gefäßerweiterung als Folgephänomen angesehen.

Bei etwa 80–85 % der Betroffenen liegt ein episodischer Clusterkopfschmerz vor, d. h. zwischen mehreren Wochen oder Monaten mit gehäuften Attacken (Cluster) liegen teils lange schmerzfreie Phasen. Treten die Attacken über mehr als ein Jahr ohne oder mit nur kurzen beschwerdefreien Intervallen auf, handelt es sich um einen chronischen Clusterkopfschmerz.

Das macht der Arzt

Die Diagnose wird zwar in erster Linie aufgrund des Beschwerdebildes und der Untersuchung gestellt, es sollte jedoch zumindest einmal ein CT oder ein Kernspin angefertigt werden, um andere Erkrankungen wie etwa Tumoren auszuschließen.

Die medizinische Behandlung des Clusterkopfschmerzes ist in zwei Bereiche unterteilt:

Soforttherapie. Mittel Nr. 1 zur Verkürzung der Attacken ist das Einatmen von Sauerstoff über eine spezielle Gesichtsmaske. Dies führt über eine Gefäßverengung zur Symptomlinderung. Auch Einbringen von Lidocainlösung in das Nasenloch der betroffenen Seite hilft einem Teil der Patienten (Lidocain ist ein Mittel zur örtlichen Betäubung). Sind diese nebenwirkungsfreien Maßnahmen nicht ausreichend wirksam, werden Triptane als Nasenspray oder zum Selbstspritzen verordnet (die Wirkung von Tabletten setzt zu spät ein).

Anfallsprophylaxe. Der Kalziumantagonist Verapamil ist das Medikament der Wahl zur Prophylaxe bei länger dauernden Phasen des episodischen sowie bei chronischem Clusterkopfschmerz. Bei Langzeitanwendung ist allerdings ein Wirkungsverlust möglich. Wegen seiner Wirkungen auf Herz und Gefäße sind Kontrollen von Blutdruck und EKG nötig. Auch Lithium wird eingesetzt, wohingegen Kortison wegen der Nebenwirkungen bei Dauereinnahme nur kurzzeitig zur Überbrückung gegeben wird, bis andere Medikamente greifen.

Selbsthilfe

Die Selbstmedikation mit „normalen“ Schmerzmitteln (z. B. Paracetamol, Ben-u-ron®, Acetylsalicylsäure, Aspirin®) ist unwirksam. Fälschlicherweise haben Betroffene oft das Gefühl, diese oder andere Mittel hätten geholfen. Dies liegt aber daran, dass die Clusterattacke ohnehin zeitlich begrenzt ist. Das Ende der Schmerzen wird dann subjektiv auf die Medikamenteneinnahme zurückgeführt.

Clusterkopfschmerzen können durch bestimmte Stoffe ausgelöst werden. Deshalb ist es zweckmäßig, ein Kopfschmerztagebuch zu führen, um die Anfallsauslöser (Trigger) zu ermitteln. Recht häufig sind dies Alkohol (insbesondere Rotwein), Nikotin, Glutamat und Badezusätze (ätherische Öle).

Im akuten Anfall ist es oft hilfreich, sich nicht hinzulegen. Durch eine aufrechte Haltung wird die Blutzufuhr ins Gehirn gemildert. Hinlegen verstärkt dementsprechend die Schmerzen.

Weiterführende Informationen

  • www.clusterkopf.de – Internetseite des Clusterkopfschmerz-Selbsthilfeverbands Deutschland e. V. (CSG, Waldfeucht): Unter den Rubriken Downloads und Broschüren finden Sie hilfreiche Faltblätter, einen Clusterkopfschmerz-Kalender und Ratgeber zum Herunterladen, z. B.: Clusterkopfschmerz – 100 Fragen 100 Antworten von H. Müller.

Autor / Rechte
17.10.2019
Dr. med. Nicole Menche, Dr. med Arne Schäffler in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). Überarbeitung und Aktualisierung: Dr. med. Sonja Kempinski

Komplexes regionales Schmerzsyndrom (Morbus Sudeck)

Komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS) (Morbus Sudeck, Sudeck-Erkrankung, Kausalgie): Chronische Schmerzkrankheit, die nach (eventuell geringfügigen) Verletzungen oder Operationen an Armen oder Beinen auftritt. Typisch sind anhaltende, durch das Trauma nicht zu erklärende Schmerzen, die von zahlreichen Störungen begleitet werden, etwa von veränderter Schweißproduktion, Überwärmung, Schwellungen, Muskelabbau und Gelenkversteifungen. Im weiteren Verlauf drohen erhebliche Funktionseinschränkungen. Als Ursachen gelten Fehlsteuerungen bei der Weiterleitung und Verarbeitung von Schmerzreizen in Rückenmark und Gehirn.

Das Behandlungskonzept ist vielfältig, es kommen Medikamente gegen Nervenschmerzen sowie physiotherapeutische Verfahren zum Einsatz. Mithilfe der Spiegeltherapie können die veränderten Gehirngebiete wieder normalisiert werden. Für schwere, nicht beherrschbare Verläufe sind invasive Verfahren eine Option, dazu gehört beispielsweise das Einpflanzen eines Rückenmarkstimulators oder die Blockade des sympathischen Nervengeflechts.

Wird die Erkrankung frühzeitig erkannt und behandelt, ist die Prognose recht gut. Einmal aufgetretene Kontrakturen und Gelenkversteifungen lassen sich häufig nicht mehr rückgängig machen.

Symptome und Leitbeschwerden

  • Anhaltender, durch das Trauma nicht zu erklärender, häufig brennender Ruheschmerz
  • Manchmal auch Schmerzen nur unter Belastung
  • Schmerz- und/oder Berührungsüberempfindlichkeit, "falsches" Schmerzempfinden (Allodynie, z. B. Schmerzen beim Bestreichen der Haut mit einem Wattebausch)
  • Schwellung, Hautrötung, Überwärmung, vermehrtes oder vermindertes Schwitzen, später kalte, blasse Haut
  • Muskelzuckungen, Tremor (Zittern)
  • Verminderte Muskelkraft, steife Gelenke.

Wann zum Arzt

Am gleichen Tag, wenn

  • nach einer Verletzung oder Operation oben genannte Veränderungen auftreten.

Die Erkrankung

Das komplexe regionale Schmerzsyndrom (CRPS) entwickelt sich bei bis zu 5 % der Patient*innen, die eine Verletzung an Arm oder Bein haben oder dort operiert wurden. Frauen leiden häufiger darunter als Männer, der Erkrankungsgipfel liegt im mittleren Lebensalter. Arme und Hände sind doppelt so oft von einem CRPS betroffen als die unteren Gliedmaßen, besonders typisch ist die Erkrankung nach einem Speichenbruch in der Nähe des Handgelenks (d. h. bei einer distalen Radiusfraktur).

Einteilungen. Das CRPS wird in zwei Formen eingeteilt. Beim Typ I (entspricht der Sudeck-Erkrankung) finden sich die Beschwerden ohne nachweisbare Verletzung eines größeren, in Arm oder Bein verlaufenden Nerven. Das CRPS Typ II (früher Kausalgie genannt) entsteht dagegen aufgrund einer objektiv nachweisbaren Nervenschädigung. Eine weitere, klinische Einteilung ist die nach dem Aktivitätsgrad: Im Stadium der frischen, aktiven Entzündung mit Überwärmung sprechen Ärzt*innen oft von einem warmen CRPS. Beim "kalten CRPS" ist dagegen die Haut kalt, die Erkrankung hat die Phase der Entzündung schon hinter sich gelassen.

Ursachen und Risikofaktoren

Die genauen Gründe, warum sich bei manchen Menschen nach einer Verletzung oder Operation ein CRPS entwickelt, sind nicht bekannt. Vermutet wird eine Störung der Schmerzweiterleitung und -verarbeitung in Rückenmark und Gehirn. Als mögliche Ursache diskutieren Expert*innen eine überschießende Entzündungsreaktion, bei der sich im Blut erhöhte Spiegel eines bestimmten Stoffes finden lassen: dem Calcitonin-gene-related peptide, CGRP. Diese Entzündungsreaktion beginnt an der verletzten Stelle und breitet sich dann im gesamten Körper aus – so auch im Gehirn, wo CGRP die schmerzverarbeitenden Nervenzellen empfindlicher macht. Eine weitere, ältere Hypothese geht von einer Fehlfunktion des sympathischen Nervensystems aus. Dadurch ließen sich auch die vegetativen Folgen wie Schwitzen, Durchblutungs- und Ernährungsstörungen des Gewebes erklären.

Als Risikofaktoren für die Entwicklung eines CRPS gelten

  • Verletzungen, vor allem gelenknahe Brüche an Armen und Beinen, typisch ist die distale Radiusfraktur, und Nervenverletzungen
  • schmerzhafte Einrenkungsversuche bei Gelenkverrenkungen
  • langanhaltende Schmerzen bei Brüchen
  • therapeutische oder diagnostische Eingriffe (z. B. beim Karpaltunnelsyndrom)
  • einengende Verbände, zu enger Gips.

Verlauf

Die Erkrankung beginnt meist mehrere Wochen nach der Verletzung oder der Operation mit Ruheschmerzen, Schwellungen, Überwärmung und Berührungsempfindlichkeiten. Nach einigen Wochen oder Monaten schwillt die Gliedmaße ab und die Schmerzen bessern sich, allerdings kommt es aufgrund von Durchblutungsstörungen zum Gewebeabbau (Dystrophie): Die Haut wird dünner, blasst ab und fühlt sich kühl an, die Muskulatur wird schwächer und die Gelenke beginnen einzusteifen. Im weiteren Verlauf hat die Patient*in zwar keine Schmerzen mehr, aber Muskeln, Knochen und Weichteile bauen immer weiter ab. Am Ende ist das betroffene Gelenk durch verkürzte Sehnen, Muskeln und Bänder komplett eingesteift (Kontraktur) und die Gliedmaße gebrauchsunfähig.

Daneben gibt es Hinweise, dass bei CRPS-Patient*innen eine Körperschemastörung mit Veränderungen der betreffenden Hirnareale vorliegt Eine Körperschemastörung zeichnet sich dadurch aus, dass die Wahrnehmung des eigenen Körpers krankhaft verzerrt und für Außenstehende nicht nachvollziehbar ist. So finden sich Magersüchtige selbst dann noch viel zu dick, wenn sie objektiv längst untergewichtig sind.

Da die Beschwerden anfangs recht unspezifisch sind und oft (fälschlicherweise) mit der Verletzung in Verbindung gebracht werden, ordnet man sie in vielen Fällen erst Monate später dem richtigen Krankheitsbild zu. Dann ist es für eine vollständige Heilung meist zu spät, die Patient*in muss lebenslang mit den Funktionseinschränkungen zurechtkommen.

Diagnosesicherung

Den Verdacht auf ein CRPS schöpft die Ärzt*in durch die Schilderung der Beschwerden und die körperliche Untersuchung der Patient*in, unterstützt durch vorangegangene Ereignisse wie Verletzungen oder Operationen.

Für die Diagnose eines CRPS müssen folgende Kriterien erfüllt sein:

  • Anhaltende Schmerzen, die durch Verletzung oder Operation nicht zu erklären sind
  • Mindestens drei der folgenden Symptome in der geschilderten Krankengeschichte und zwei bei der körperlichen Untersuchung
    • Überempfindlichkeit gegen Schmerzen und/oder Berührung, "falsches" Schmerzempfinden (Allodynie). Typisch dabei ist, dass die Störungen der Sensibilität nicht eindeutig zu einem Nerv passen, so treten sie z. B. handschuhförmig auf
    • Veränderung der Hautfarbe und der Hauttemperatur
    • Vermehrtes oder vermindertes Schwitzen, Schwellung (Ödem) Hautfarbe
    • Eingeschränkte Beweglichkeit, Zittern, Muskelschwäche
    • Veränderungen von Haar- oder Nagelwachstum
    • Ausschluss anderer, ähnliche Beschwerden hervorrufender Erkrankungen (siehe Differenzialdiagnosen).

Im Zweifel zieht die Ärzt*in folgende technische Untersuchungen heran:

  • Messung der Hauttemperatur im Seitenvergleich (1°–2° C Unterschied sprechen für ein CRPS
  • Röntgen im Seitenvergleich, wobei sich eventuelle Veränderungen meist erst nach Monaten zeigen
  • Knochenszintigrafie, ebenfalls im Seitenvergleich, hier lassen sich die Veränderungen im Gegensatz zum Röntgen vor allem im Frühstadium, d. h. nach etwa 6 Wochen, erkennen
  • Kontrastmittelgestütztes MRT (zum Ausschluss anderer Erkrankungen wie beispielsweise Infektionen).

Differenzialdiagnosen. Je nach Beschwerdebild muss eine ganze Reihe anderer Erkrankungen ausgeschlossen werden, vor allem die tiefe Venenthrombose, Lymphabflussstörungen, Gefäßverschlüsse und Infektionen, aber auch Arthrosen, Arthritis, Gicht, Schleimbeutelentzündungen oder das Erysipel.

Behandlung

  • Die Behandlung eines CRPS gehört in die Hand einer erfahrenen Schmerztherapeut*in, um die erforderlichen Therapiemaßnahmen zu koordinieren und zu überwachen.

Medikamentöse Behandlung

  • Im Zentrum der Schmerztherapie stehen Wirkstoffe, die eine Neuropathie (also eine Nervenschädigung) positiv beeinflussen. Dazu gehören beispielsweise Gabapentin und Pregabalin. Manchmal verabreicht die Ärzt*in auch Ketamin als Infusion (das ist allerdings nur im Krankenhaus möglich). Zur Behandlung der Allodynie empfehlen manche Ärzt*innen eine lokale Therapie mit Dimethylsulfoxid-Salbe (DSMO) oder einer Salbenmischung mit Ambroxol.
  • In der Phase der akuten Entzündung wird auch kurzfristig Kortison verordnet. Bisphosphonate bremsen den Knochenabbau und werden deshalb in der Frühphase eines CRPS oft verordnet. Entweder als Tabletten (Alendronat) über 8 Wochen, alternativ auch intravenös, einmalig (Pamidronat) oder 10 Tage lang täglich (Clodronat).

Physiotherapie

Mit gezielten, nach abgestuftem Plan immer schwierigeren Bewegungen trainiert die Patient*in Beweglichkeit und Kraft der betroffenen Gliedmaße. Bei der "Pain exposure physical therapy" (PEPT) soll man gezielt an die Schmerzgrenze und etwas darüber hinausgehen, auch, um die Angst vor der Bewegung zu bekämpfen. Die Propriozeptive neuromuskuläre Fazilitation (PNF) wiederum steigert Muskeltonus, Bewegung und Koordination.

In der Physiotherapie kommt zudem die Lymphdrainage zum Einsatz, da ein verbesserter Lymphabfluss Beweglichkeit und Stoffwechselprozesse vor Ort fördert.

Verhaltenstherapie

Zu den wichtigsten Verfahren zählt die Spiegeltherapie nach Ramachandran. Sie wurde ursprünglich zur Behandlung von Phantomschmerzen erfunden. Ist beispielsweise der Arm betroffen, platziert man den Spiegel so an der Körpermitte, dass sich der gesunde Arm spiegelt (der kranke liegt hinter dem Spiegel). Für das Gehirn entsteht die optische Illusion, der gespiegelte sei der kranke Arm. Wird nun der gesunde Arm mit einem Igelball oder Wattebausch berührt und kommt es dabei nicht zu krankhaften Schmerzempfindungen, glaubt das Gehirn, der kranke (gespiegelte) Arm sei gesund. Dadurch wird die Empfindlichkeit der Gehirnzellen herunterreguliert und normalisiert, in der Folge lösen beispielsweise normale Reize auch nur eine normale Reaktion und keinen Schmerz mehr aus. Genauso funktioniert dies mit Bewegungen. Wird der gesunde Arm der Patient*in bewegt, glaubt das Gehirn, beide Arme seien beweglich. Diese Illusion aktiviert bestimmte Hirnareale, was zur Rehabilitation und einer besseren Beweglichkeit beiträgt.

Invasive Verfahren

Die invasiven, in den Körper eingreifenden Verfahren wie z. B. Einspritzungen in das Gehirn oder das Einpflanzen einer Elektrode in das Rückenmark haben heute an Bedeutung verloren – zum einen, weil die Erkrankung inzwischen früher erkannt wird und deswegen besser therapierbar ist, zum anderen, weil beispielsweise die Spiegeltherapie gute Ergebnisse zeigt. Zudem sind die Erfolgsaussichten der invasiven Methoden unklar. Bei schweren, mit den genannten konservativen Behandlungsmöglichkeiten nicht beherrschbaren Fällen, sind sie dennoch eine Therapieoption.

  • Baclofen intrathekal. Das Einspritzen des Wirkstoffs Baclofen in das flüssigkeitsgefüllte Hohlraumsystem (Liquorraum) des Gehirns empfiehlt sich vor allem bei Dystonien (Verkrampfungen) im Rahmen des CRPS. Zeigt das Einspritzen eine Wirkung, besteht die Möglichkeit, dauerhaft einen kleinen Katheter zu legen und den Wirkstoff über eine Pumpe zu verabreichen. Diese Therapie ist aufwendig und reich an Komplikationen (z. B. Infektionen) und wird daher eher selten angewendet.
  • Spinal-cord-Stimulation (SCS). Hier wird das Rückenmark mithilfe einer eingepflanzten Elektrode gereizt. Es gibt niederfrequente und hochfrequente Verfahren, die auf unterschiedlichen Wegen beide zu einer Schmerzreduzierung führen. Empfohlen wird die SCS nur bei Betroffenen, die keine psychischen Begleiterkrankungen haben. Zudem lässt die Wirkung der SCS nach etwa 5 Jahren häufig nach.
  • Sympathikusblockaden. Bei dieser Methode spritzt die Ärzt*in ein lokales Betäubungsmittel in die Nervenknoten oder -geflechte des sympathischen Nervensystems. Durch die Blockade sollen die Schmerzen ausgeschaltet werden. Neueren Analysen zufolge ist diese Methode weniger erfolgreich als früher angenommen. Bei schweren Verläufen, die sich anders nicht beherrschen lassen, empfehlen die Leitlinien einen Versuch. Gespritzt wird dabei 2 bis 3 Mal pro Woche.
  • Ganglionäre Opioid-Analgesie. Hier wird das Opioid Buprenorphin an einen Nervenknoten gespritzt, und zwar an das Ganglion stellatum. Von diesem seitlich des ersten Brustwirbels liegenden Nervenknoten gehen Nervenstränge sternförmig in alle Richtungen ab. Dieses Verfahren ist noch nicht weit verbreitet, scheint aber den Schmerz gut zu reduzieren.

Prognose

Der Verlauf der Erkrankung ist individuell sehr verschieden. Es kommen Fälle von kompletter Ausheilung, aber auch bleibende, schwere Behinderung vor. Generell gilt: Je früher die Erkrankung erkannt und behandelt wird, desto besser ist die Prognose.

In einer kleinen Studie an 100 Patient*innen kam es bei über 80 % innerhalb mehrerer Jahre zu einer Besserung bis Ausheilung, gut 40 % hatten jedoch weiterhin Schmerzen unterschiedlichen Ausmaßes.

Ihre Apotheke empfiehlt

Was Sie selbst tun können

Keine Kälte oder Wärme! Auch wenn bei vielen schmerzhaften Erkrankungen Wärme oder Kälte helfen – beim CRPS sind sie fehl am Platz. Wärme und Kältebehandlungen verschlimmern die Erkrankung.

Umschläge. Gute Erfahrungen wurden mit Retterspitz-Umschlägen gemacht. Sie sollen die vegetative Entgleisung bremsen und vor allem hilfreich gegen die "falsche" Schmerzempfindung sein (Allodynie). Retterspitz-Flüssigkeit zum Herstellen von Umschlägen ist in der Apotheke erhältlich.

Psychotherapeutische Unterstützung. Chronische Schmerzerkrankungen wie das CRPS sind häufig von psychischem Druck und Ängsten begleitet. Hier ist eine spezielle Schmerzpsychotherapie empfehlenswert. Dazu gehören Entspannungs- und Imaginationsverfahren, der Abbau von Bewegungsängsten und die Behandlung eventuell begleitender Ängste und Depressionen.

Prävention

  • Vor allem bei geplanten Eingriffen oder bei der Behandlung von Verletzungen versuchen Ärzt*innen, einem CRPS mit folgenden Maßnahmen vorzubeugen:
    • Ausreichende Schmerzbehandlung bei Operationen, nach Brüchen und beim Einrenken
    • So kurze Operationszeiten wie möglich
    • Regionalanästhesie statt Vollnarkose (Beobachtungsstudie, keine randomisierten Studien)
    • Verband- und Gipskontrollen
    • Prophylaktische Gabe von Vitamin C bei Operationen an Hand oder Fuß über 50 Tage ab Op-Termin soll das CRPS-Risiko reduzieren.

Autor / Rechte
02.10.2022
Dr. med. Sonja Kempinski

Migräne

Migräne: anfallsartige, häufig pulsierende, meist einseitige Kopfschmerzen, die oft eingeleitet oder begleitet werden von vegetativen Symptomen, Licht- und Lärmempfindlichkeit sowie neurologischen Ausfällen wie z. B. einer Sehstörung.

Migräne ist eine häufige Erkrankung: Etwa 15 % der Frauen und 5 % der Männer im Erwachsenenalter darunter. Der Erkrankungsbeginn liegt meist im Jugend- oder frühen Erwachsenenalter; selten sind auch Kinder betroffen. Nach dem 45. Lebensjahr bessert sich die Migräne oft von selbst – bei Frauen wirkt sich der Übergang in die Wechseljahre in der Regel positiv aus.

Die Hälfte der Betroffenen erleidet etwa einen Anfall im Monat, jeder zehnte hat aber 4 und mehr Anfälle im Monat.

Symptome und Leitbeschwerden

  • Wiederholte Kopfschmerzanfälle, meist pulsierend und einseitig (ein Seitenwechsel ist möglich)
  • Dauer wenige Stunden bis zu 3 Tagen, der Beginn ist typischerweise morgens
  • Zunahme bei körperlicher Aktivität
  • Alltagsaktivitäten sind während des Migräneanfalls erheblich beeinträchtigt oder unmöglich
  • Initial oder begleitend Lärm- oder Lichtscheu, Übelkeit, häufig Erbrechen, Sehstörungen und andere Missempfindungen.

Wann zum Arzt

In den nächsten 2 Wochen, wenn

  • erstmalig ein Kopfschmerz auftritt, der zu einer Migräne "passt".
  • sich der Charakter einer bekannten Migräne ändert oder eine bislang erfolgreiche Selbstbehandlung nicht mehr wirkt.

In den nächsten Tagen, wenn

  • die Kopfschmerzattacken immer morgens beginnen.
  • zwischen den "Anfällen" keine Beschwerdefreiheit besteht.
  • die Kopfschmerzen sehr stark sind und auf "nichts" ansprechen.

Sofort den Arzt rufen, wenn

  • der Betroffene Krämpfe hat, bewusstlos wird oder Lähmungserscheinungen zeigt.

Die Erkrankung

Überblick. Die Migräne ist nicht, wie früher angenommen, psychisch bedingt und schon gar nicht wird ein Migräneanfall vorgetäuscht ("sie hat wieder mal ihre Migräne"), psychische Faktoren beeinflussen aber den Krankheitsverlauf. Vermutlich ist die Migräne erblich mitbedingt, bei einer seltenen Sonderform sind Gendefekte als direkte Ursache identifiziert. Besteht eine Neigung zur Migräne, lösen verschiedenste Einflüsse, etwa bestimmte Nahrungs- und Genussmittel wie Rotwein, Schokolade oder Käse, Änderungen des Schlaf-Wach-Rhythmus, Hitze, Lärm, Flackerlicht, Stress (oder Entspannung nach vorheriger Anspannung), Aufenthalt in großer Höhe, aber auch "heraufziehende" Infektionen oder bei Frauen die "Pille" sowie die Regelblutung Migräneanfälle aus.

Formen. Beginnt der Anfall sofort mit Kopfschmerzen, spricht man von einer Migräne ohne Aura. Diese ist die häufigste. Bei ungefähr 10–15 % der Betroffenen leiten aber neurologische Ausfälle (häufig Sehstörungen wie z. B. Lichtblitze und Gesichtsfelddefekte) eine Migräneattacke ein. Diese Form heißt Migräne mit Aura (oder auch klassische Migräne).

Ursachen. Wie es genau zu einem Migräneanfall kommt, ist nach wie vor nicht ganz klar. Nach heutigem Kenntnisstand steht eine Funktionsstörung der Nervenzellen und nicht der Blutgefäße am Anfang des Geschehens. Mittels SPECT und PET konnte eine erhöhte Durchblutung in Teilen des Hirnstamms nachgewiesen werden. Wahrscheinlich führt dies zu einer veränderten Botenstoffausschüttung, wobei dem Botenstoff Serotonin eine entscheidende Rolle zukommt. Dieser soll dann auf die Fasern des Trigeminusnervs ("zuständig" für die Empfindungen von Hirnhäuten und Gesicht) und die körpereigenen schmerzregulierenden Systeme zurückwirken sowie die Hirnhautgefäße erweitern und dadurch zum migränetypischen Kopfschmerz führen.

Für die Aura verantwortlich ist wahrscheinlich eine verminderte Nervenzellaktivität, die über Teile der Großhirnoberfläche wandert und phasenweise die Durchblutung vermindert.

Ein Migräneanfall verläuft typischerweise in 4 Phasen:

  • Prodromi (Vorboten) mit depressiver Verstimmung, Reizbarkeit, Heißhunger auf bestimmte Nahrungsmittel
  • Aura mit reversiblen neurologischen Symptomen wie Sehstörungen, Empfindungs- oder Sprachstörungen
  • Kopfschmerzattacke mit Begleiterscheinungen
  • Anfallsende: Abklingen der Schmerzen mit Erschöpfung und verstärktem Schlafbedürfnis.

Die Veranlagung zur Migräne ist nicht zu ändern, mit einer Kombination der unten genannten Behandlungsmöglichkeiten gelingt es den meisten Betroffenen aber, sie in einem erträglichen Rahmen zu halten.

Sonderformen. Migräneanfälle, die mit der Menstruationsblutung assoziiert sind, werden als menstruelle Migräne bezeichnet; Migräneanfälle mit lange nachwirkenden neurologischen Symptomen wie z. B. Lähmungserscheinungen als Migraine accompagnée.

Komplikationen. Migräneanfälle, die innerhalb von 72 Stunden nicht aufhören, bezeichnet man als Status migraenosus. Sie erfordern besondere Therapiemaßnahmen und oft eine Einweisung ins Krankenhaus.

Diagnosesicherung

Sind die Beschwerden typisch und kann der Arzt keine weiteren Auffälligkeiten feststellen, "steht" die Diagnose.

Passt aber das Bild nicht ganz, treten z. B. erstmals Ausfälle auf, beginnt die Erkrankung erst nach dem 40. Geburtstag oder ändert sich eine bekannte Migräne, muss der Arzt andere Grunderkrankungen ausschließen, wofür dann meist ein CT und/oder ein Kernspin vom Hirnschädel erforderlich sind.

Behandlung

Die Therapie der Migräne ist schwierig – es gibt keine Wundermittel, und kein Medikament beseitigt alle Symptome. Moderne Ansätze umfassen neben der medikamentösen Behandlung psychotherapeutische und physiotherapeutische Heilverfahren sowie Änderungen im Lebensstil sowie Selbsthilfemaßnahmen.

Pharmakotherapie im Migräneanfall

Viele Migräneanfälle sind so schwer, dass Selbsthilfemaßnahmen (siehe unten) nicht ausreichen. Je nach Bedarf und schrittweise sollen Erwachsene nach den Empfehlungen der Fachgesellschaften einnehmen:

  • Gegen Übelkeit und Erbrechen ein Antiemetikum wie z. B. Metoclopramid 10–20 mg als Tablette.
  • Eine Viertelstunde später gegen die Schmerzen:

Als Mittel der ersten Wahl 900–1000 mg Acetylsalicylsäure, 1000 mg Paracetamol oder 400 mg Ibuprofen, am besten als Brause- oder Kautablette. Es gibt auch Kombinationspräparate – etwa mit 250–265 mg Acetylsalicylsäure, 200–265 mg Paracetamol und 50–65 mg Koffein – für viele sind sie wirksamer als die Einzelsubstanzen. Die einzelne Einnahmedosis liegt bei 2 Tabletten. Für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren sind Paracetamol oder Ibuprofen am besten, für Schwangere Paracetamol. Paracetamol lässt sich auch als Zäpfchen verabreichen.

Metamizol (bis 1000 mg als Tablette) gilt als Mittel der zweiten Wahl.

Stärker wirken Triptane, etwa Sumatriptan, Zolmitriptan oder Naratriptan. Sie greifen in das Botenstoffgefüge (genauer den Serotoninhaushalt) im Gehirn ein. Triptane gibt es als Schmelztabletten, Suppositorien, Nasensprays und zur subkutanen Injektion. Triptane dürfen erst im Migräneanfall eingenommen werden – und nicht schon während der Aura, da Triptane sonst selbst zum (arzneimittelinduzierten) Kopfschmerz und sogar zu häufigeren Migräneanfällen führen. Eine Nachdosierung nach mindestens 6 Stunden ist zulässig.

Reicht ein Triptan nicht aus, empfiehlt der Arzt das Triptan mit einem nichtsteroidalen Antirheumatikum (NSAR wie z. B. Acetylsalicylsäure, Naproxen oder Ibuprofen) zu kombinieren.

Weitere Medikamente: Die früher häufig verordneten Mutterkornalkaloide oder Ergotamine wurden durch die Triptane inzwischen verdrängt. Manche Betroffene kommen aber mit diesen Medikamenten gut zurecht und können sie dann weiter nehmen.

Medikamentöse Anfallsprophylaxe

Bei häufigen Migräneanfällen ist wegen des Nebenwirkungsrisikos der Anfallsmedikamente eine Dauergabe vorbeugender Medikamente sinnvoll.

  • Vorzugsweise eingesetzt werden die aus der Bluthochdruckbehandlung bekannten Betablocker Metoprolol und Propranolol, der Kalziumantagonist Flunarizin und die Antiepileptika Topiramat und Valproinsäure. Ihre Wirksamkeit kann erst nach 2 Monaten wirklich beurteilt werden: die Anzahl an Migränetagen sollte sich um 30–50 % verringert haben. Um dies zu ermitteln, ist das Führen eines Kopfschmerztagebuches angezeigt. Bei Wirksamkeit der Therapie sollte nach 6–12 Monaten ein Auslass- oder Dosisreduktions-Versuch unternommen werden. Bei erneuter Verschlechterung der Migräne wird dann ein erneuter Behandlungszyklus eingeleitet.
  • Sind diese Standardmedikamente nicht ausreichend, werden als weitere Medikamente das Antidepressivum Amitryptillin, das Analgetikum Naproxen, Botulinumtoxin, das Phytopharmakon Pestwurz und viele weitere Medikamente eingesetzt (zum Teil "off label", d. h. ohne dass diese für die Migräneprophylaxe zugelassen sind).
  • Für Kinder, Schwangere sowie Patientinnen mit menstrueller Migräne bestehen besondere Empfehlungen.

Nichtmedikamentöse Anfallsprophylaxe

Die Akupunktur hat heute einen festen Platz in der nichtmedikamentösen Anfallsprophylaxe, die Wirksamkeit ist in zahlreichen Studien belegt (sie wirkt in einigen Fällen sogar beim beginnenden Migräneanfall und kann evtl. eine ausgeprägte Attacke verhindern).

Die Progressive Muskelentspannung nach Jacobson und Biofeedback-gestützte Verhaltenstherapien sind vergleichbar wirksame Methoden, um Migräneanfällen vorzubeugen. Bei den Biofeedback-gestützten Verhaltenstherapien lernt der Patient, durch Konzentration den Schmerz willentlich zu beeinflussen. Ein Sensor über der Schläfenarterie misst deren Durchblutung, die auf einem Bildschirm dargestellt wird. Der Patient lernt aus dieser Rückmeldung, den Durchmesser der Arterie willentlich zu vergrößern und damit die Durchblutung zu steuern.

Weitere übende Verfahren wie Stressmanagement-Kurse oder Verhaltenstherapien sind im Einzelfall ebenfalls hilfreich. Beim Autogenen Training, das Studien ebenfalls als wirksam bewerten, ist die Stirnkühlübung der entscheidende Bestandteil des Übungsprogramms und zielt auf eine umfassende Entspannung. Das Autogene Training sollte in entsprechenden Kursen z. B. in Volkshochschulen erlernt und für längere Zeit – idealerweise Jahre – regelmäßig praktiziert werden. Die Durchführung der Übung ist, wenn man die Grundübungen in einem Kurs erlernt hat, auch alleine möglich.

Regelmäßiger Ausdauersport vermag die Zahl der Migräneanfälle zu reduzieren. Dreimal die Woche für 30–40 Minuten joggen bewirkt, dass das Gehirn dreimal die Woche Endorphine freisetzt. Dadurch steigt die individuelle Schmerzschwelle an, und Migräneanfälle treten seltener und schwächer auf. Auch der Bedarf an Medikamenten sinkt, wie mehrere Studien festgestellt haben.

Hinweis: Allerdings ist intensive sportliche Betätigung für manche Patienten ein Migräneanfallsauslöser. Diesen Betroffenen wird dann maßvoller(er) Ausdauersport wie rasches Gehen oder dosiertes Training auf dem Heim­Trainer oder Fahrradergometer empfohlen.

Ihr Apotheker empfiehlt

Prävention

Auslöser meiden. Bekannte Anfallsauslöser sollten Sie meiden, allerdings ist es oft nicht leicht herauszufinden, was einen Anfall provoziert und was das beste Rezept dagegen ist. Dann ist für eine begrenzte Zeit das Führen eines Kopfschmerztagebuchs sinnvoll.

Lange Zeit galten Schokolade und Süßigkeiten als Migräne-Auslöser, da Betroffene häufig von Heißhungerattacken vor dem Anfall berichteten. Eine aktuelle Studie zeigt aber, dass Schokolade den Anfall nicht verursacht, sondern die verstärkte Lust auf Süßes ihn vielmehr ankündigt. Der Grund dahinter: Das Gehirn braucht Energie für den bevorstehenden Migräneanfall. Das bedeutet: Um einem Anfall vorzubeugen, nützt es nichts auf Schokolade zu verzichten. Im Gegenteil, laut der Studie verstärkt dieser Verzicht die Symptome sogar.

Komplementärmedizin

Physikalische Anwendungen. Während des Anfalls helfen am besten Ruhe in einem dunklen, leisen Raum und Kälteanwendungen, z. B. durch kalte Kompressen sowie Kühlpacks im Nacken aufgelegt oder in Form einer Migränebrille.

Manche Patienten profitieren von einer heißen Dusche oder einem Vollbad von 10–20 Minuten Dauer. Badezusätze aus Fichtennadeln und Rosmarin fördern die Durchblutung, Baldrian und Hopfen beruhigen, Arnika und Heublume lindern Schmerzen.

Akupunktur. In einer großen Akupunkturstudie (GERAC, 2005) zeigte sich die Akupunktur der schulmedizinischen Standardbehandlung als ebenbürtig.

Phytotherapie. Als klassisches Mittel bei Migräne gilt der Pestwurzwurzelstock (Petasites hybridus). Er wird zur Prophylaxe und Linderung von Migräneanfällen empfohlen, mehrere neurologische Fachgesellschaften in Europa halten die Heilpflanze für wirksam und die Anwendung für nutzbringend. Es wirkt aber nicht bei jedem Patienten und es gibt ein (sehr geringes) Risiko für Leberschäden, weshalb die Anwendung nur unter ärztlicher Aufsicht erfolgen soll.

Im Einzelfall zu erwägen sind auch die Naturheilmittel gegen chronischen Kopfschmerz wie z. B. Extrakte aus Weidenrinde.

Homöopathie. Empfohlen werden etwa Belladonna, Cimicifuga, Gelsemium und Sanguinaria als Akut- (D6 oder D12) oder Kombinationstherapie (ab C30) – eindeutige Nachweise zur Wirksamkeit fehlen jedoch trotz vieler Studien. Als Komplexmittel wird z. B. Cyclamen Oligoplax vorgeschlagen.

Weiterführende Informationen

Autor / Rechte
02.01.2020
Dr. med. Nicole Menche, Dr. med. Arne Schäffler in: Gesundheit Heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler, Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014); Überarbeitung und Aktualisierung: Dr. med. Arne Schäffler, Sandra Göbel

Postamputationssyndrom

Schätzungen zufolge werden in Deutschland jährlich mehr als 60 000 Amputationen an Gliedmaßen vorgenommen, am häufigsten infolge von Folgeschäden der Zuckerkrankheit, am zweithäufigsten infolge von Unfällen. Mehr als die Hälfte dieser Menschen leidet nach der Amputation unter den Beschwerden des Postamputationssyndroms:

  • Am häufigsten, gleichzeitig aber am wenigsten belastend für den Betroffenen sind Phantomsensationen, also nicht schmerzhafte Empfindungen wie etwa Kribbeln in der nicht mehr vorhandenen Extremität. Mit der Zeit „verkürzt“ sich die Extremität meist von selbst.
  • Stumpfschmerzen sind Schmerzen im Amputationsstumpf. Häufig lässt sich eine Ursache feststellen, etwa Durchblutungsstörungen, Entzündungen, ein Neurom („Nervenknäuel“ an durchtrennten Nerven) oder Probleme mit der Prothese. Nach Behebung der Ursache sind die Aussichten vor allem bei erst kurzer Schmerzdauer gut.
  • Nach einer Gliedmaßenamputation empfinden ungefähr zwei Drittel der Operierten Phantomschmerzen in dem nicht mehr vorhandenen Körperteil, meist schon im Krankenhaus. Bei ihrer Entstehung spielen mehrere Faktoren eine Rolle, die im Detail nur teilweise geklärt sind. Eine gewisse Vorbeugung ist durch gute Schmerztherapie vor der Amputation und (zusätzliche) Anwendung von lokalen Betäubungsverfahren während und nach der Operation möglich. Kommt es dennoch zu Phantomschmerzen, hilft meist eine Kombinationsbehandlung mit Medikamenten. Bei Versagen der medikamentösen Behandlung sollte ein Schmerzspezialist eingeschaltet werden.

Autor / Rechte
14.11.2019
Dr. med. Nicole Menche, Dr. med. Arne Schäffler in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). Überarbeitung und Aktualisierung: Dr. med. Sonja Kempinski

Rückenschmerz- und Nackenschmerz-Syndrome

Ischias und Lumboischialgie. Der Ischiasnerv (Nervus ischiadicus) verlässt das Rückenmark auf Höhe der unteren Lendenwirbel und des Kreuzbeins und zieht zum Bein. Über das Gesäß verläuft er auf die Rückseite des Oberschenkels und verzweigt sich oberhalb der Kniekehle in zwei Äste, die am hinteren und seitlichen Unterschenkel bis zur Fußsohle und Fußaußenkante ziehen. Als Ischias bezeichnet der Volksmund einen Schmerz, der dem Verlauf der Nervenbahn folgt. Er entsteht durch eine Reizung des Ischiasnervs beim Austritt der Nervenwurzeln aus dem Wirbelkanal. Ursache sind häufig Bandscheibenvorfälle oder Verschleißerscheinungen der Zwischenwirbelgelenke. Wenn typische Ischiasbeschwerden mit Kreuzschmerzen verbunden sind, sprechen Ärzte auch von einer Lumboischialgie.

Blockierung. Dies ist ein Begriff aus der manuellen Medizin, den allerdings der allgemeine Sprachgebrauch viel ungenauer verwendet. Das Bild einer sich verhakenden „blockierten“ Schublade beschreibt den mechanischen Aspekt des Begriffs: Ein Gelenk verhakt sich z. B. nach einer ungewöhnlichen Bewegung. Der ausgelöste Schmerzreiz führt zu einem Muskelreflex, die Muskeln spannen sich an. Dadurch wird das Gelenk in der Verhakung fixiert und kann sich nicht mehr lösen. Obwohl Blockierungen meist an der Wirbelsäule auftreten, ist kein Gelenk des Körpers dagegen gefeit. Die betroffenen Gelenke sind dabei weder krank noch abgenutzt; sie funktionieren wieder problemlos, sobald sich die Blockierung gelöst hat. Dies geschieht oft nach einigen Stunden oder Tagen spontan, lässt sich jedoch auch durch manualmedizinische Handgriffe herbeiführen.

Hexenschuss. Dieser Begriff bezeichnet einen akut auftretenden, einschießenden Schmerz in der Lendenwirbelgegend, mit oder ohne Ausstrahlung ins Gesäß und in die Oberschenkel. Hexenschuss (Lumbalgie) tritt oft nach Anheben einer Last auf, gelegentlich auch nach einer falschen Bewegung oder auch ohne ersichtlichen Grund. Normalerweise steht der Begriff für unkomplizierte Kreuzschmerzen, die nach einigen Tagen wieder abklingen. Als häufige Ursache findet sich eine akute Blockierung (oben) entweder eines Zwischenwirbelgelenks der Lendenwirbelsäule oder des Kreuzbein-Darmbein-Gelenks.

Interkostalneuralgie. Am Unterrand jeder Rippe verläuft ein Nerv von der Wirbelsäule nach vorne bis in die Brustbeinregion. Einen akuten Schmerz entlang eines dieser Nerven, also mit Ausstrahlung vom Rücken nach vorne in die Brust, bezeichnet der Arzt als Interkostalneuralgie (wörtlich: schmerzender Nerv zwischen den Rippen). Der Schmerz ist atem- und bewegungsabhängig und verringert sich meist im Liegen. Der Erkrankung liegt, ähnlich wie bei dem verwandten Hexenschuss, häufig eine akute Blockierung zugrunde; sie betrifft entweder ein Rippenwirbelgelenk oder ein Zwischenwirbelgelenk der Brustwirbelsäule. Da die Interkostalneuralgie typischerweise ähnliche Schmerzen verursacht wie ein Herzinfarkt, muss der Arzt die Schmerzursache sehr sorgfältig prüfen, damit keine schwerwiegende Erkrankung übersehen wird.

HWS-Syndrom. Der Sammelbegriff kennzeichnet uncharakteristische Beschwerden im Bereich von Halswirbelsäule und Nacken. Von einem Schulter-Arm-Syndrom ist die Rede, wenn die Schmerzen in Schulter und Arm ausstrahlen.

BWS-Syndrom. Mit diesem Begriff bezeichnet man Schmerzen in und neben der Brustwirbelsäule, die oft in den vorderen Brustkorb ausstrahlen. Obwohl zahlreiche Wirbelsäulenschäden als Ursache infrage kommen, tritt das BWS-Syndrom meist als Folge von Fehlhaltungen auf, z. B. bei mangelhafter Ergonomie am Arbeitsplatz oder Morbus Scheuermann.

LWS-Syndrom. Die unscharfe Bezeichnung für Beschwerden im unteren Rücken ist am ehesten den Begriffen Kreuzschmerzen oder Hexenschuss zuzuordnen. Die wichtigsten Ursachen, z. B. Bandscheibenschäden, Spinalstenose und Spondylolisthese (Wirbelgleiten), werden in eigenen Krankheitsabschnitten besprochen.

Autor / Rechte
14.11.2019
Dr. med. Siegfried Locher, Dr. med. Arne Schäffler in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). Überarbeitung und Aktualisierung: Dr. med. Sonja Kempinski

Spannungskopfschmerz

Spannungskopfschmerz: Häufigste Kopfschmerzerkrankung überhaupt mit dumpf-drückenden (nicht pulsierenden) Schmerzen im gesamten Kopf. Je nach Häufigkeit des Auftretens wird unterschieden zwischen episodischen und chronischen Spannungskopfschmerzen. Vor allem die chronische Form kann durch die Beeinträchtigung der Lebensqualität und durch den häufigen Schmerzmittelmissbrauch zum Problem werden. Die Erkrankung beginnt oft im jungen Erwachsenenalter, Frauen sind häufiger betroffen als Männer.

Leitbeschwerden

  • Dumpf-drückender Dauerkopfschmerz, meist im gesamten Kopf („wie ein Schraubstock“) oder hinterkopfbetont
  • Dauer ½ Stunde bis eine Woche. Dauer und Schweregrad variieren von seltenen, kurz andauernden leichten Kopfschmerzen bis hin zu täglichen Dauerkopfschmerzen.
  • Keine Zunahme bei körperlicher Aktivität
  • Alltagsaktivitäten zwar „mühsamer“ als normal, aber sonst nicht beeinträchtigt
  • Allenfalls leichte Lärm- oder Lichtscheu oder geringe Übelkeit ohne Erbrechen
  • Keine weiteren Beschwerden oder Ausfälle (wie etwa Sehstörungen).

Wann zum Arzt

In den nächsten zwei Wochen, wenn die Kopfschmerzen häufig wiederkehren oder eine bislang erfolgreiche Selbstbehandlung keine Wirkung mehr zeigt.

In den nächsten Tagen, wenn die Kopfschmerzen trotz Selbstbehandlung auch nach mehreren Tagen nicht weggehen

Heute noch, wenn heftige Kopfschmerzen erstmalig auftreten, die Kopfschmerzen sehr stark sind oder auf „nichts“ (mehr) ansprechen

Sofort, wenn die Kopfschmerzen von hohem Fieber und einem steifen Nacken, Bewusstseinsstörungen oder Ausfällen, etwa Sprachstörungen, begleitet werden.

Die Erkrankung

Der Spannungskopfschmerz ist die häufigste Kopfschmerzform überhaupt – wohl jeder kennt diesen dumpf-drückenden Schmerz, der eigentlich gar nicht so weh tut, einen bei längerem Bestehen aber trotzdem zermürbt.

Zum Problem wird der Spannungskopfschmerz, wenn er häufiger auftritt. Etwa 20–40 % der Bevölkerung, in Deutschland also über 25 Millionen, leiden unter episodischen Spannungskopfschmerzen (insgesamt mehr als zehn beobachtete Attacken, aber Kopfschmerzen an weniger als 180 Tagen im Jahr), rund 2–3 % sogar unter chronischen Spannungskopfschmerzen, die über mehr als sechs Monate an mindestens 15 Tagen pro Monat auftreten.

Die Ursache häufiger auftretender Spannungskopfschmerzen ist nach wie vor unklar. Aufgrund der familiären Häufung scheint eine erbliche Veranlagung wahrscheinlich. Nach heutigem Kenntnisstand spielt eine veränderte Schmerzverarbeitung im Gehirn eine Rolle, die in der Folge zu einer Erniedrigung der Schmerzschwelle führt. Ob die häufig zu beobachtenden Verspannungen der Nackenmuskulatur, einseitige körperliche Belastung (z. B. bei der Arbeit am Computer), Stress oder andere psychische Faktoren hier ursächlich sind oder ob die veränderte Schmerzwahrnehmung der Boden ist, auf dem diese Faktoren die Kopfschmerzen dann auslösen, ist unklar.

Abzugrenzen sind die Kopfschmerz als Begleitsymptom einer beginnenden Erkältung, Mittelohrentzündung oder Zahnschmerzen, aber auch infolge eines Gehirntumors oder einer Hirnhautentzündung. Diese haben eine feststellbare Ursache, und das eigentliche Problem sind in aller Regel nicht die Kopfschmerzen, sondern die Grunderkrankung.

Das macht der Arzt

Nur wenn die Beschwerden nicht so recht in das Raster des typischen Spannungskopfschmerzes passen oder der Arzt Auffälligkeiten bei der körperlichen Untersuchung findet, sind weitergehende Untersuchungen erforderlich, am häufigsten bildgebende Verfahren wie CT oder Kernspin zum Ausschluss von Tumoren oder Blutungen.

Medikamente sind bei Spannungskopfschmerzen ein zweischneidiges Schwert:

  • Einerseits ist unbehandelter Kopfschmerz mit Lernerfahrungen verbunden, bei denen sich der Schmerz in das Gedächtnis eingräbt. Dieses Schmerzgedächtnis begünstigt die Entwicklung eines chronischen Kopfschmerzes.
  • Andererseits sind auch „banale“ Schmerzmittel bei häufiger Einnahme mit ernst zu nehmenden Nebenwirkungen behaftet

Bei gelegentlichen Kopfschmerzen können Erwachsene ohne Bedenken 500–1000 mg Acetylsalicylsäure (z. B. Aspirin®), 500–1000 mg Paracetamol (z. B. ben-u-ron®), 400 mg Ibuprofen (z. B. Dolo-Puren®) oder 500–1000 mg Naproxen (z. B. Proxen®) einnehmen, falls nicht-medikamentöse Selbsthilfemaßnahmen ohne Erfolg bleiben. Bei Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren wird die Dosis entsprechend der Angaben auf dem Beipackzettel verringert. Acetylsalicylsäure darf Kindern und Jugendlichen jedoch nicht gegeben werden, da sie bei einem gleichzeitigen Virusinfekt das gefährliche Reye-Syndrom mit Gehirn- und Leberschäden auslösen kann. Bei Schwangeren ist am ehesten Paracetamol anzuraten, falls ein Verzicht auf Medikamente nicht möglich ist.

Bei akuten Spannungskopfschmerzen empfehlen international mehrere Fachgesellschaften als Mittel der ersten Wahl 1 000 mg Acetylsalicylsäure (z. B. Aspirin® oder ASS Ratiopharm®), 12,5–25 mg Diclofenac (z. B. Diclofenac Ratiopharm® Schmerztabletten), 400 mg Ibuprofen (z. B. Ibubeta® oder Dolo-Puren®) oder die Fixkombination aus 500 mg Paracetamol und 65 mg Koffein. Am wirksamsten hat sich die Kombination aus 250–265 mg Acetylsalicylsäure, 200–265 mg Paracetamol und 50–65 mg Koffein (z. B. Neuralgin® Schmerztabletten oder Thomapyrin® Intensiv) erwiesen; die einzelne Einnahmedosis liegt hier bei 2 Tabletten. Die alleinige Einnahme von 1 000 mg Paracetamol ist Mittel zweiter Wahl.

Bei mehrwöchiger oder gar dauernder Einnahme von Schmerzmedikamenten (Analgetika) droht ein Analgetikakopfschmerz. Bei diesen dumpf-drückenden oder pulsierenden Dauerkopfschmerzen hilft nur eines: konsequentes Weglassen aller Schmerzmittel.

Treten Spannungskopfschmerzen häufig auf, kommen Schmerzmittel daher nicht in Betracht. Hier verspricht eine Kombination aus Lebensstiländerung und vorbeugender Medikamentengabe am ehesten Erfolg. Eingesetzt werden v. a. verschiedene Antidepressiva (etwa Amitriptylin, z. B. Saroten®). Diese vorbeugenden Medikamente werden täglich eingenommen, egal ob Kopfschmerzen bestehen oder nicht. Gegebenenfalls müssen mehrere Medikamente ausprobiert werden, wobei sich deren Wirksamkeit erst nach etwa sechs Wochen abschätzen lässt.

Selbstbehandlung

Als Mittel zur schnellen Selbsthilfe haben sich eine heiße Dusche oder ein Vollbad bewährt. Nehmen Sie sich für das Vollbad 10–20 Minuten Zeit und versuchen Sie im 36–38 °C warmen Wasser zu entspannen. Badezusätze aus Fichtennadeln und Rosmarin fördern die Durchblutung, Baldrian und Hopfen beruhigen, Arnika und Heublume lindern Schmerzen. Im Anschluss gönnen Sie sich z. B. bei einem Melissentee noch etwas Ruhe.

Auch Ruhe und Schlaf helfen oft und können gut mit Wärme- oder Kälteanwendungen verbunden werden: Bei hinterkopfbetonten Schmerzen und einem „verspannten“ Gefühl im Nacken ist Wärme besser geeignet, ansonsten sind Kälteanwendungen auf der Stirn aussichtsreicher.

Gleichzeitig sollte man sich fragen, wodurch die Kopfschmerzen ausgelöst werden und versuchen, die Ursache zu beseitigen – eine neue Matratze oder ein neuer Arbeitsstuhl kombiniert mit regelmäßigen Lockerungsübungen lösen oft Muskelverspannungen und so auch das Kopfschmerzproblem. Treten die Kopfschmerzen abends auf und ist der letzte Besuch beim Augenarzt schon einige Zeit her, könnte auch eine (neue) Brille fällig sein, denn „angestrengtes“ Sehen kann sich nicht nur durch schlechtes Sehen, sondern auch durch Kopfschmerzen äußern. Werden die Kopfschmerzen durch Stress ausgelöst, lohnt sich bei häufigem Auftreten das Erlernen eines Entspannungsverfahrens.

Außerdem sind bei häufigen Kopfschmerzen ausreichend Schlaf und ein möglichst geregelter Tagesablauf sowie regelmäßiger Ausdauersport (jeden 2. oder 3. Tag) anzuraten. Auch wenn diese Maßnahmen lästig sein können – sie steigern z. B. die Wirksamkeit der vorbeugenden Medikamente wesentlich.

Komplementärmedizin

Pflanzenheilkunde. Bei leichten bis mäßigen Spannungskopfschmerzen bietet die Naturapotheke wirksame und gut verträgliche Hilfen. Ein bewährtes Mittel ist Pfefferminzöl, von dem wenige Tropfen sanft in Stirn und Schläfen einmassiert werden (z. B. Euminz®-Lösung, China-Öl® Destillat, Inspirol® Heilpflanzenöl-Lösung). Seine schmerzlindernde Wirkung ist wissenschaftlich belegt . Zusätzlich trägt der entspannende Effekt durch die Massage zur Besserung der Beschwerden bei. Auch bei Kindern lässt sich Spannungskopfschmerz mit Hilfe von Pfefferminzöl mildern (z. B. Wildkräuteröl spezial K®). Wichtig: Bewahren Sie in jedem Fall die Augen vor jeglichem Kontakt mit dem Öl und waschen Sie im Anschluss an das Einreiben gründlich Ihre Hände.

Extrakte aus Weidenrinde scheinen in einigen Fällen schmerzlindernd zu wirken. Besser als ein Tee sind Tropfen- und Fertigarzneimittel mit einem festgelegten Anteil des Hauptwirkstoffs Salicin. Zudem haben Weidenrindenpräparate den Vorteil, gut magenverträglich zu sein. Die empfohlene Tagesdosis liegt bei 180–240 mg Gesamtsalicin (z. B. Assalix® Dragees, Assplant® Dragees, Lintia® Kapseln).

Entspannungsverfahren. Entspannungsverfahren und Massagen wirken in erster Linie prophylaktisch und sollten vor allem bei viel Stress sowie Haltungsfehlern angewendet werden. Empfehlenswert sind Autogenes Training, Progressive Muskelentspannung nach Jacobson und Yoga.

Autogenes Training. Autogenes Training wird sowohl zur Vorbeugung als auch zur Behandlung von leichteren Formen eines akuten Spannungskopfschmerzes empfohlen. Die Stirnkühlübung ist hierbei der entscheidende Bestandteil des Übungsprogramms und zielt auf eine umfassende Entspannung. Das Autogene Training sollte regelmäßig durchgeführt werden und wird von Ärzten, Psychologen und Volkshochschulen gelehrt. Erlernt wird das Autogene Training meist in der Gruppe. Die Durchführung ist im Anschluss jederzeit auch allein möglich.

Massagen.Massagen gegen Muskelverspannungen im Kopf- und Nackenbereich lassen sich gut selbst durchführen. Massieren Sie dazu mit Zeige- und Mittelfinger unter leichtem Druck und mit kreisenden Bewegungen Ihre Schläfen. Wichtig: mindestens fünf Minuten lang massieren. Statt der Fingerspitzen lässt sich auch der Handballen einsetzen.

Akupunktur und Akupressur. Nach einer großen deutschen Studie können mit Akupunktur sowohl akute Spannungskopfschmerzen effektiv gelindert als auch die Anzahl der Kopfschmerztage bei chronischem Verlauf reduziert werden. Allerdings hat sich eine Akupunktur nach den Regeln der Traditionellen Chinesischen Medizin nur wenig wirksamer gezeigt als eine Scheinakupunktur mit willkürlichen Akupunkturpunkten [T01; T02; T03]. Die gleichen Akupunkturpunkte sind auch durch die Akupressur zugänglich, ein wissenschaftlicher Wirkungsnachweis steht noch aus. Wenn Sie sich selbst behandeln wollen, lassen Sie sich vorher durch einen qualifizierten Therapeuten einweisen.

Homöopathie. Die Homöopathie stellt Gelsemium D4 und D6 zur Verfügung.

Weiterführende Informationen

  • www.dmkg.de – Internetseite der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e. V., Rostock: Bietet u. a. Therapieempfehlungen sowie aktuelle Forschungsergebnisse.
  • H. Göbel: Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne. Springer, 2004. Inzwischen in der 4. Auflage erschienener bewährter Ratgeber des Chefarztes der Schmerzklinik Kiel.

Autor / Rechte
12.03.2020
Dr. med. Nicole Menche, Dr. med. Arne Schäffler in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). Überarbeitung und Aktualisierung: Dr. med. Sonja Kempinski

Trigeminusneuralgie

Trigeminusneuralgie (Gesichtsneuralgie): Häufigste Neuralgie mit heftigsten pulsförmigen Gesichtsschmerzen. In Deutschland sind rund 30 000 Menschen betroffen, hauptsächlich Ältere. Neuralgien sind eine besondere Form von Nervenschmerzen.

Leitbeschwerden

  • Blitzartig einschießende, unerträglich starke, brennende Schmerzen im Augen-, Wangen- oder Mundbereich einer Gesichtshälfte
  • Dauer Sekunden bis zu zwei Minuten, aber bis zu 100 Schmerzattacken am Tag möglich
  • Meist ausgelöst durch bestimmte Reize, z. B. Waschen, Zähneputzen, Rasieren, Kauen, Sprechen
  • Möglicherweise Hautrötung, Tränen- oder Speichelfluss nach den Schmerzen
  • Möglicherweise Muskelzuckungen in der betroffenen Gesichtshälfte.

Die Erkrankung

Der Trigeminusnerv (Nervus trigeminus) leitet die Wahrnehmungen des Gesichts zum Gehirn. Ursächlich für die Trigeminusneuralgie ist wahrscheinlich ein zu enger Kontakt zwischen Trigeminusnerv und einem Blutgefäß ganz nah am Gehirn (neurovaskuläre Kompression). Dadurch wird die „Schutzhülle“, die die Nervenzellen umgibt, beeinträchtigt und Signale von Berührungsfasern können auf Schmerzfasern überspringen. Da dies aber lange unbekannt war, trägt diese klassische Trigeminusneuralgie nach wie vor den Namen idiopathische (ursächlich ungeklärte) Trigeminusneuralgie.

Hingegen steckt bei der symptomatischen Trigeminusneuralgie eine Grunderkrankung hinter der Nervenreizung, etwa eine Multiple Sklerose oder ein Tumor. Oft sind die Beschwerden dann nicht ganz typisch (z. B. dauert der Schmerz länger) oder es bestehen auch zwischen den Schmerzattacken Auffälligkeiten wie etwa eine verminderte Berührungsempfindung im Schmerzbereich.

Mitunter ruft eine Zahn(wurzel)behandlung eine Trigeminusneuropathie hervor. Der Schmerzcharakter unterscheidet sich jedoch grundlegend von der klassischen Trigeminusneuralgie. In diesem Fall besteht ein Dauerschmerz und blitzartige Attacken fehlen.

Das macht der Arzt

Selbst bei typischen Beschwerden empfiehlt sich ein Kernspin des Gehirns, um eine Multiple Sklerose oder einen Tumor auszuschließen.

Normale Schmerzmittel helfen bei der Trigeminusneuralgie nicht. Gut wirksam ist aber das Antiepileptikum Carbamazepin, auch Gabapentin ist möglich. Sie werden zunächst täglich gegeben. Nach ungefähr zwei Monaten Beschwerdefreiheit kann versucht werden, das Medikament stufenweise wieder abzusetzen.

Nur wenn Medikamente nicht ausreichend wirksam, ihre Nebenwirkungen auf Dauer zu stark sind oder eine Dauerbehandlung über Jahrzehnte nötig wäre, werden tiefer greifende Behandlungen in Betracht gezogen, vor allem eine mikrochirurgische Trennung von Nerv und Gefäß, um ein Überspringen der Signale zu verhindern. Alternativen z. B. bei Inoperabilität sind die Schädigung der "zuständigen" Trigeminusfasern durch die Haut hindurch oder durch Strahlenbehandlung (Gamma-Knife).

Komplementärmedizin

In Anbetracht der Schwere der akuten Schmerzattacken spielt die Naturheilkunde bei der Therapie der Trigeminusneuralgie nur eine untergeordnete Rolle.

Homöopathie. Die Homöopathie empfiehlt Aconitum (C3, D4, D6), Arsenicum album (D6, D12 und D30) und Spigelia (D6, D12) für den Akutfall sowie individuell abgestimmte Mittel zur Konstitutionstherapie.

Akupunktur. Ob Akupunktur hilft, ist umstritten. Die WHO hat die Trigeminunsneuralgie aber als eine von 40 Indikationen für die Akupunktur berücksichtigt. Wichtig ist, dass im akuten Schub nicht in der Schmerzregion und generell keine Triggerpunkte genadelt werden, in diesem Fall kann die Schmerzintensität sogar zunehmen. Zwischen den Anfällen kann versucht werden, die Akupunkturpunkte je nach genauer Schmerzlokalisation zu nadeln.

Autor / Rechte
14.11.2019
Dr. med. Nicole Menche, Dr. med. Arne Schäffler in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). Überarbeitung und Aktualisierung: Dr. med. Sonja Kempinski